DESWEGEN IST WWE SO MÄCHTIG | Vince McMahon Doku-Serie (2/4)

Vince McMahon ist der Godfather of Sports Entertainment. Im ersten Teil dieser Doku-Serie haben wir uns mit dem Menschen Vince McMahon beschäftigt, haben versucht, seine außergewöhnliche Psyche zu begreifen und sind dabei auf einen liebenden Familienmenschen gestoßen, auf einen narzisstischen Workaholic und auf einen Mann, der für Geld und seinen beruflichen Erfolg brennende Landschaften hinter sich lässt. In dieser Folge schauen wir uns an, wie ihn diese professionelle Skrupellosigkeit, dieser kompromisslose Geschäftssinn zu einem mächtigen Autokraten machten. Ein Autokrat, wie ihn das Wrestling-Business nie zuvor und nie seitdem gesehen hat.

Das Lebenswerk von Vincent Kennedy McMahon lässt sich knapp in drei Abkürzungen umreißen: WM, WCW und AEW. Die erste WrestleMania legte den Grundstein für sein Imperium. Von Ted Turners World Championship Wrestling wurde er derart herausgefordert, dass er zum unbestrittenen Alleinherrscher im Sports Entertainment werden musste. Und im heutigen Zeitalter von AEW schließlich spüren wir immer mehr, wie das Denkmal eines immer weniger mächtigen Mannes vom Sockel zu fallen droht. Aber fangen wir an mit dem Tag, an dem sich Vince McMahon beinahe vollständig vom Wrestling verabschiedet hätte.

ALLER ANFANG IST SCHWER

Es ist der 31. März 1985, Madison Square Garden in New York City, es ist der Tag der allerersten WrestleMania. Die Veranstaltung wirbt mit der Tagline „The Greatest Wrestling Event of All Time!“, und nicht weniger als das muss es für den bald 40-jährigen Vince McMahon auch schon werden, möchte er nicht schon wieder mit etwas ganz Großem scheitern. Mit wirtschaftlichen Rückschlägen kannte sich Vince zu diesem Zeitpunkt aus. Er war maßgeblich an Evil Knievels als epochal erhofften Snake River Jump beteiligt, der zu einem finanziellen wie medialen Desaster wurde und Vince in den privaten Bankrott führte. Den als „The War of the Worlds“ verkauften Mega-Fight zwischen Muhammad Ali und Antonio Inoki bookte er mit Freibrief seines Vaters so schlecht, dass sich die beiden Alpha-Males Ali wie Inoki aus Egoismus darüber hinwegsetzten und der Kampf am Ende zu einer peinlichen Schmach wurde. Seitdem war viel passiert im Leben von Vince McMahon, aber wenn jetzt auch noch WrestleMania ein Flop werden würde, wäre sein Name als Promoter nichts mehr wert und das Vermächtnis seines Vaters auf einen Schlag zerstört.

Seitdem sein Vater zurück in seinem Leben war, konnte der junge Vinnie gar nicht anders, als das Wrestling zu lieben. Schon viel früher, 1948 wurde die National Wrestling Alliance gegründet, eine Art Vereinigte Staaten des Wrestlings, aufgeteilt in circa 30 regional begrenzte Territorien. Dort brachten einzelne Promoter ihre Wrestling-Shows mit eigenen Kadern auf die Bühne. Vince McMahon Senior war Chef von Capitol Wrestling im Raum New York und Washington, und somit auch nur für dieses Territorium zuständig, während sich die anderen Promoter ihrerseits von New York fernhielten. So lautete über viele Jahrzehnte das Gentlemen’s Agreement und so konnte jede regionale Promotion ihr eigenes Ding durchziehen. Dann kam Vince jr.

OUT OF BUSINESS

Vince war seiner Zeit voraus. 1982 kaufte er seinem Vater und dessen drei Business-Partnern die World Wide Wrestling Federation ab und startete sofort mit der seit einiger Zeit geplanten Expansion. Ihm war völlig klar, dass sich die Aufteilung in lokale Übertragungen nicht mehr lange halten würde. Wer fährt schon in den 80er Jahren immer noch weit raus ins Land, um hier die Harts, dort die von Erichs und wieder ganz woanders Ric Flair zu sehen? Vince wusste, dass das Wrestling bald landesweit gehen würde. Und warum sollte es jemand anders als er selbst sein, der den neuen Verbund dann leitet? Dass er dafür gute Freunde des Vaters hinterging, Konkurrenten, die er „Little Lords“ ihrer winzigen Königreiche nannte, samt deren Angestellte in den Ruin stürzte und praktisch einen Blitzkrieg ohne Rücksicht auf Verluste führte, war dann eben das nötige Mittel zum Zweck. Vince McMahon hatte kein Mitgefühl, weil er nicht in diese territoriale Welt hereingewachsen war. Er war der Eroberer, dem Tradition nichts bedeutete und der seine Vision von Wrestling mit aller Kraft durchsetzen wollte. Es gelang ihm.

„Ich wurde oft geschlagen und habe viel Schweres durchgemacht. Dadurch habe ich eine defensive Philosophie entwickelt, die mir über die Jahre sehr geholfen hat. Und zwar: Wenn es es überlebe, dann gewinne ich. Egal was passiert, wenn ich immer noch aus- und einatme, dann habe ich gewonnen. Wenn du diese Haltung hast, dann ist Scheitern kein großes Ding mehr.“

BOMBASTISCHE SHOW

Was uns zurück zu 1985 und WrestleMania 1 führt, ein Jahr nach dem Tod des Vaters. In nur drei Jahren vereinte Vince einige wichtige Territorien, erschuf damit die glorreiche WWF und scharrte zahlreiche etablierte Superstars des Wrestlings um sich. Der größte Star von allen kam von der AWA in Minneapolis.

Vince setzte alles auf eine Karte, würde entweder komplett gegen die Wand fahren oder selbst zu einem Superstar werden. Er fuhr ganz groß auf, zahlte horrende Gagen an Prominente wie Muhammad Ali, Cyndi Loper, Mr. T oder Liberace, um auch bei Nicht-Wrestlingfans zum Must-See zu werden. Geht sein Plan auf, dann weiß von heute auf morgen jeder im ganzen Land, welche bombastische Show dieses Wrestling sein kann. Denn ab jetzt war Wrestling eine Show. Wrestling war seine Show.

Mit dem Mega-Erfolg von WrestleMania 1 im Rücken startete die große Wrestling-Welle, von der wir heute noch zehren. Legenden wie André the Giant, Rowdy Roddy Piper, der Macho Man, der Ultimate Warrior oder Bret Hart kamen und gingen, da war zum Teil noch nicht einmal Monday Night Raw geboren. Auf einmal schauten sich ganze Familien Wrestling an und Vince McMahon war nun selber der Lord of the Ring. Er war der Veränderer, der Dinge bewegt und Monumentales erschafft. Nur darüber werden seiner Ansicht nach die Geschichtsschreiber in 100 Jahren berichten, nicht über die miesen Deals, all die Drohungen, die Erpressungen oder die menschlichen Abgründe, auf denen dieses Monument auf Ewigkeit ruhen wird. 1995 war Vince McMahon  der mächtigste Mann im Wrestling. Dann holte ihn seine Vergangenheit ein.

KRIEG

Gemeint ist Medienmogul und Milliardärs-Kollege Ted Turner, der zu Vinces Nemesis aufsteigen sollte. Denn Vince McMahon schaffte nie die volle Expansion und damit die Zerstörung der NWA. Die Jim Crockett Promotion war das gar nicht so kleine gallische Dorf, das in North Carolina vor allem dank Ric Flair dem Eindringling Widerstand leisten konnte und nie an Vince McMahon verkaufte. Auch auf der Feindesseite wurde Expansion betrieben, die durch Ted Turners Geld und Know-how jetzt auf einmal auch zu den Sternen führen sollte. Die WCW war als Art Restbestand der NWA geboren, und das neue Monday Nitro zog nicht nur dem provozierenden Namen nach in den Krieg mit Monday Night Raw. Die Monday Night Wars waren eine Glanzzeit des Professional Wrestlings. Oder Sports Entertainments, je nachdem, auf welcher Seite man stand.

In diesem Fall belebte die Konkurrenz nicht nur das Geschäft, sie stachelte beide Seiten zu Höchstleitungen an. Die WCW konnte sich große Stars aus McMahons Sammelalbum besorgen:

Lange 84 Wochen am Stück konnte die WCW mehr Zuschauer an die Bildschirme fesseln als das vermeintlich sinkende Schiff WWF. Vince McMahon stand mit dem Rücken zur Wand und musste mit der Attitude Era schon eine völlig neue Wrestling-Agenda erschaffen, um nicht für immer auf Platz 2 der erste Verlierer zu sein.

Erneut durchbrach Vince die alten Gewohnheiten, erkannte den Puls der Zeit und erschuf starke Charaktere, die fesselnde Storylines in toughe Matches enden ließen. Jedes Kind redetet auf dem Pausenhof über Stone Cold Steve Austin, The Rock, Kane, Triple H oder Mick Foley. Vince McMahon kämpfte um sein Imperium und kämpfen konnte er schon immer. Dass die WWF am Ende als Sieger vom Platz ging, lag aber nur zum Teil an Vince selber, während sich die WCW mit sinnlosen Backstage-Querelen, irrwitzigen Storylines und einer völlig unrealistischen Finanzpolitik am Ende praktisch selbst zerstört hatte. Für Vince McMahon hieß das, dass er herausgefordert wurde, dass er gekämpft hat und das er wieder einmal der Sieger war. Veni Vidi Vici. Ein Narzisst fühlt sich jetzt wie ein Gott. Und kauft sich den Konkurrenten zu einem lächerlich niedrigen Preis und präsentiert ihn noch viele Jahre lang als minderwertig in der eigenen Show.

KONKURRENZLOS 

Und heute? Seit 2001 steht Vince McMahons WWE nun praktisch ohne Konkurrenz da. Vince hat sich über die Jahre ein solides Fundament aufgebaut, das die WWE zu einem praktisch unverwundbaren börsennotierten Global Player gemacht hat. Klar gibt es die ganze Zeit über auch Wrestling außerhalb der WWE, zum Teil richtig gutes Wrestling: Ring of Honor, TNA, New Japan, aber der normale Sportfan guckt am Ende Fußball, auch wenn das Spiel mal wieder langweilig ist. Und die WWE war und ist in vielen Belangen einfach langweilig, lustlos und uninspiriert. Ohne Konkurrenz musste Vince kein Risiko mehr gehen. Das Geld floss, die vielen Skandale perlten ab, er wurde machtblind. Vince McMahon brachte über ein Jahrzehnt lang nur die nötigsten Veränderungen und fuhr seinen Luxusliner sicher durch die Weltmeere. Dabei blieb er irgendwann einfach in der alten Zeit hängen und hat in etwa zu diesem Zeitpunkt dann auch für sich gelernt, dass wer sich am meisten aufregt, am Ende der größte Fan ist und sowieso immer weiterschaut. So promotet er noch heute kaum anders als früher, der menschenverachtende Umgang zu seinen Mitarbeitern inklusive.

DIE MODERNE WCW

Das führt uns zum Abschluss des zweiten Teils dieser Serie, zum letzten der eingangs genannten Kürzel: AEW, das moderne WCW, wenn man so will. Vince McMahon wird seit einiger Zeit erneut herausgefordert, aber es wirkt fast so, als wäre er heute dem Ansturm nicht mehr gewachsen.

Jetzt ist er selber in die von ihm geschaffenen Traditionen hereingewachsen und ist nicht mehr bereit oder fähig zu den notwendigen Veränderungen, um am Puls der heutigen Zeit zu bleiben. Seine Macht bröckelt, nur merkt das in der WWE noch keiner. In der nächsten Folge werden wir anhand der wirklich dunklen Seite von Vince McMahon sehen, warum er seine Macht im Grunde auch längst nicht mehr verdient hat.

Produktion: Marcel Weber, Jonathan Guthy

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