
In den letzten Jahren erlebte der Populismus in der Politik einen stetigen Aufwind. Populisten schüren Emotionen, sind provokant und meist rhetorisch bewandert. Sie fügen sich selten der Allgemeinheit, schwimmen in der Regel gegen den Strom und lehnen sich gegen das „politisch-korrekte“ System auf. Was in der Weltpolitik auf dem Vormarsch ist, ist im Wrestling schon seit Jahrzehnten effektiv im Einsatz. Das Hervorrufen von Emotionen steht an erster Stelle und wird allem anderen übergeordnet. Kontroverse ist für gewöhnlich das Mittel zum Zweck um Gesprächsstoff hervorzubringen. Dass man auf diese Weise einen Großteil der „Gegenseite“ vor den Kopf stößt und für Verärgerung oder sogar Anfeindung sorgt, ist dabei fast schon paradoxerweise förderlich für den Erfolg. Wie ähnlich sich Politik und Wrestling in dieser Hinsicht doch sein können, lässt sich besonders gut am 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten und viel wichtiger noch WWE-Hall of Famer Donald Trump erkennen. Trump ist in diesem Szenario ein Wrestler, der von den Fans unterstützt wird, gerade weil er anders ist und von den Etablierten versucht wird unten gehalten zu werden. Trumps Wähler sind in diesem Vergleich, die Fans, die alles dafür geben um eine Veränderung oder sogar einen Umsturz herbeizuführen.
Der erste große WWE-Star der mit seinem „Anti-Establishment-Verhalten“ die Massen auf seine Seite zog, war „Stone Cold“ Steve Austin. Er nahm kein Blatt vor dem Mund, machte was er wollte, verhöhnte und verspottete alles und jeden, hatte mehr Feinde als Freunde. Und die Fans liebten ihn! Austin war anders und seine Positionierung als Rebell gegen das alles beherrschende McMahon-Regime war maßgeblich für die enorme Popularität der „Texas Rattlesnake“. Vor den TV-Kameras wurde er stets als Gegner der Führungsriege präsentiert. Das Verlangen des Publikums, dass sich jemand nicht einfach nur den Gegebenheiten fügt, sondern sich zur Wehr setzt und den Laden ordentlich aufmischt, war riesig. Bis heute gilt die Austin-McMahon-Rivalität als die beste Fehde/Storyline und brachte der WWF den dringend benötigten Quotenaufschwung, um die Monday Night Wars für sich entscheiden zu können. Die Wählerschaft von Trump gleicht in dieser Hinsicht den damaligen Fans von „Stone Cold“. Dennoch gibt es gravierende Unterschiede zwischen Austin und Trump. Während Austin von allen maßlos gefeiert wurde, erhält Trump für sein Handeln stetigen und heftigen Gegenwind. Denn im Gegensatz zu Austin, treffen seine Sticheleien halt keine fiktiven Heel-Charaktere, sondern reale Menschen. Für eben diese Menschen, oder auch Medien, die gerne ins Fadenkreuz des Republikaners geraten, ist Trump ein absoluter Heel. Für seine Wähler ist er jedoch das Face, dass die bösen Machenschaften und Fehler der Elite gerade rücken möchte.
Die Reaktionen, die Donald Trump von der breiten Masse erhält, gleichen also weniger einem Steve Austin, dafür aber umso mehr einem John Cena. Cenas TV-Charakter ist zwar meilenweit von Trumps Verhaltensweisen entfernt, aber genau wie bei Mr. President gibt es zu Cena auch nur zwei Meinungen: Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn. Das typische Handeln Trumps spiegelt hierbei aber eher das Booking der WWE und weniger John Cenas Persönlichkeit wieder.
In diesem Vergleich ist Cena im Einklang mit dem Booking der WWE das Establishment. Er repräsentiert das langweilige, eingefahrene und vorhersehbare WWE-Produkt, auf welches so viele Fans keine Lust mehr haben. Cenas Gegner hingegen sind das Anti-Establishment, dem sich viele Zuschauer teils hochemotional anschließen.
Immer gewinnt er, immer steht er im Main-Event, immer läuft alles auf den großen Triumph Cenas hinaus. Obwohl er stets der Good-Guy war und Tugenden wie hustle, loyalty & respect pflegte, wandten sich viele Fans gegen ihn. Vollgepackte Hallen, die den Anführer der Cenation mit Buhrufen und Schmähgesängen empfingen waren da keine Seltenheit. Das WWE-Universum hatte einfach genug vom eingefahrenen System der WWE-Elite. Sie wollten Veränderung. Sie lehnten sich gegen das Establishment auf und wurden zu einer Anti-Establishment-Bewegung. Egal was, Hauptsache gegen John Cena. Fast jeder Fehdengegner von Cena wurde bejubelt, einfach nur mit der Hoffnung, dass es diesmal anders läuft und man aufgrund der negativen Haltung gegenüber dem 16-maligen World Champion, das Kreativteam dazu zwinge den Kurs zu ändern. Ein Verhalten, welches man mittlerweile auch zu großen Teilen in der wählenden Bevölkerung erkennen kann. Probleme und Ungleichheiten sind einfach viel zu groß, um mit dem „immer weiter so“ leben zu können. Der Wille nach Veränderung ist groß. Das gilt fürs Wrestling, wie für die Politik. Immer mehr Wähler schenken ihre Stimme daher Parteien oder Politikern, die nicht nur Verbesserung, sondern tiefgreifende Veränderungen versprechen. Die Ideen dieser Parteien sind häufig kontrovers und sprechen Themen an, die zuvor gar nicht zur Diskussion standen. Zum Beispiel das Infrage stellen des menschengemachten Klimawandels. Zuvor eine kleine fast schon unterdrückte Meinung. Inzwischen aber Teil vieler hitziger Debatten. Von den Etablierten werden diesbezügliche Aussagen in der Regel belächelt, was die Unterstützer der These nur noch mehr vom Sachverhalt überzeugt. Selbst umgehende Pandemien werden klein geredet, verharmlost und zum Teil sogar geleugnet. Hauptsache nicht der gleichen Meinung wie der Mainstream sein. Natürlich sind unterschiedliche Meinungen essenziell für die Demokratie und ohne Zweifler oder in Härtefällen gar Verschwörungstheoretiker, könnten die Mächtigen tatsächlich im Hintergrund die Strippen ziehen und die kleinen Bürger scham- und skrupellos ausnutzen. Aber wer denkt, dass er recht hat, dann gesagt bekommt er hat unrecht, ist seinem Glauben nur noch linientreuer und fühlt sich zudem von den anderen ungerecht behandelt und reagiert fast schon aus Trotz immer gegensätzlich der anderen Seite. Es entsteht ein natürliches Feindbild, dem man sich möglichst abgrenzen möchte. Verstand, Fakten, Kompromisse und Eingeständnisse von Fehlern rücken da leider weit in den Hintergrund. Man glaubt lieber seinen eignen Fakten und lässt sich nur selten eines Besseren belehren. In der Politik werden offizielle Studien und Statistiken kontestiert, wenn sie sich nicht mit dem eigenen Weltbild decken. Im Wrestling ignoriert man Merchandise-Verkäufe, Umsatz und Reichweite, solange man die WWE mal wieder für den Einsatz von John Cena kritisieren kann. Natürlich gibt es neben dem Cena-Booking aber auch noch zahlreiche weitere Fälle, die aufzeigen wie sehr die WWE das Stilmittel Kontroverse ausreizt. Der Money in the Bank-Sieg von Brock Lesnar, das Hell in a Cell-Match zwischen dem Fiend und Seth Rollins, der Universal Championship-Gewinn von Goldberg. Nur einige zeitnahe Ereignisse, die die Fans in Rage brachten, der WWE aber eine Menge Aufmerksamkeit generierte.
Menschen sind emotional und so kommt es, dass die eigentlich Enttäuschten nicht verdrossen, sondern meist nur noch engagierter und lautstärker werden. Denn ob man in etwas Interesse oder sogar Investment zeigt, hängt meist von der Quantität und nicht der Qualität von Emotionen ab. Natürlich ist es ein gewagtes Spiel so vorzugehen. Natürlich entstehen auf diese Weise auch Feinde. Aber Provokation war schon immer ein erstaunlich effektives Mittel um andere Leute manipulieren zu können.
In der Politik entsteht so Diskurs und Meinungsvielfalt – Grundpfeiler einer Demokratie. Im Wrestling dagegen ist die Halle am Toben und die Stimmung elektrisierend. Und jeder Wrestling-Fan sollte während den Veranstaltungen vor leeren Rängen verstanden haben, wie wichtig die Atmosphäre beim Wrestling ist.
Autor: Nico Walter
Cut: Peer Oberhoff (Twitter: https://twitter.com/OberhoffPeer)
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