Warum wir #SpeakingOut nicht vergessen dürfen

Sie berichten von unprofessionellem Verhalten. Von Beleidigungen und verletzenden Sprüchen. Von emotionalem und verbalen Missbrauch. Von sexueller Belästigung und körperlichen Übergriffen. Sie sprechen über versuchte und geschehene Vergewaltigungen. Auch Übergriffe an Minderjährigen.

Sie, das sind Ex-Freundinnen und Ex-Freunde, Bekanntschaften von Partys oder aus dem Internet, sie sind teilweise minderjährige Fans. Doch sie sind auch selbst Wrestlerinnen und Wrestler, Schülerinnen und Schüler in den Wrestling-Akademien.

Sie alle sind Opfer von Verbrechen geworden und haben sich an die Öffentlichkeit gewandt.  Sie sind die „Speaking Out“-Bewegung. Das Thema ist in Deutschland wieder hochgekocht, weil Martin Guerrero einen Beschuldigten für sein Event gebucht hat und dafür einen heftigen Shitstorm bekam. Fans haben sich gefragt: Ist #SpeakingOut schon wieder vergessen? Zeit, uns in Erinnerung zu rufen, warum wir dieses Thema auf keinen Fall vergessen dürfen.

„Speaking Out“ entstand im Juni 2020 genau wie das „Me Too“-Movement als Hashtag im Internet. Dort konnten Opfer ihre Geschichten erzählen und sich mit Menschen mit ähnlicher Vergangenheit connecten.

Begonnen hatte alles mit den Vorwürfen einer jungen Frau gegenüber dem Wrestler David Starr, der zu dieser Zeit auch bei wXw im Ring stand. Sie warf ihm unter anderem sexuelle Belästigung vor. Viele Ligen entzogen ihm seine Titelgürtel und kündigten ihre Verträge mit dem Amerikaner. Starr gestand seine Taten und zog sich aus dem Wrestling zurück.

Die Geschichte verbreitete sich im Internet wie ein Lauffeuer. Immer mehr Menschen erzählten ähnliche Erfahrungen. Schnell erreichte die Bewegung an Größe und Prominenz. Die Ziele waren nun klar. Man wollte lückenlose Aufdeckung und große Aufmerksamkeit gegenüber sexuellem Missbrauch im Pro-Wrestling erwirken.

Insbesondere in Großbritannien, aber auch in den USA und Deutschland wurden immer mehr Missstände aufgedeckt. Die ersten Ligen gaben Pressemitteilungen heraus und leiteten Untersuchungen ein.

Vor allem die WWE war massiv von den Anschuldigungen betroffen. So wurde Velveteen Dream beschuldigt, Nacktfotos und unangebrachte Nachrichten an minderjährige Fans versendet zu haben. Bei einer internen Untersuchung konnte keine Schuld festgestellt werden, aber mit der Zeit kamen immer mehr dreckige Details ans Licht und er wurde entlassen. Dream, bürgerlich Patrick Clark, bestreitet bis heute alle Vorwürfe.

Auch Matt Riddle wurden Sexualstraftaten vorgeworfen. Eine Frau, mit der Riddle eine Affäre hatte, gab an, dass er sie zum Sex gezwungen habe.  Der 35-jährige stritt die Tat ab, auch vor Gericht wies er die Vorwürfe von sich. Im Juli 2021 zog die Frau die Anklage zurück.

Besonders NXT und NXT UK wurden zum Schauplatz vieler Anschuldigungen.        So wurden unter anderem die britischen Wrestler Jack Gallagher und Ligero sowie der Neuseeländer Travis Banks aufgrund verschiedener Anschuldigungen entlassen.  Joe Coffey und Austin Theory wurden wegen Belästigung vorübergehend von der WWE suspendiert, kehrten jedoch nach ihren Suspendierungen in die Shows zurück. Jordan Devlin stritt die Vorwürfe seiner Ex-Freundin über häusliche Gewalt vollständig ab. Der Vorfall blieb ohne Folgen.

Gleichermaßen gab es bei AEW verschiedene Anschuldigungen. So wurde Jimmy Havoc nach Vorwürfen des emotionalen und verbalen Missbrauchs aus seinem Vertrag entlassen. Sammy Guevara hingegen musste nach verächtlichen Kommentaren gegenüber WWE-Superstar Sasha Banks eine mehrwöchige Suspendierung absitzen. Zudem musste er ein Sensibilitätstraining durchführen und entschuldigte sich öffentlich für sein Fehlverhalten.

Doch auch in kleineren Ligen wurden schwerwiegende Vorwürfe laut. Indie-Wrestler Joe Ryan, bekannt für seine sexuell angelegte Rolle wurde beschuldigt, mehrfach Frauen belästigt zu haben. Auch von körperlichen Übergriffen war berichtet worden. Er bedauerte Fehlverhalten, klagte jedoch auch gegen drei Frauen auf Schadensersatz. Die Klagen wurden später fallengelassen.

„Speaking-Out“ war auch in Deutschland ein großes Thema. So feierte der Brite Marty Scurll sein Comeback in einer deutschen Promotion. Er war im Juni 2020 beschuldigt worden, ohne Einverständnis mit einer betrunkenen Minderjährigen geschlafen zu haben. Scurll wies die Vorwürfe zurück und beschrieb die Situation als einvernehmlich. Ring of Honor und New Japan Pro Wrestling beendeten daraufhin ihr Engagement mit ihm.

Neben der Entlassung von David Starr hatte die deutsche Liga wXw auch mit internen Vorwürfen zu kämpfen. Es wurde von verschiedenen Vorfällen berichtet. Unter anderem sprachen Betroffene von unprofessionellem Verhalten im Trainingsbetrieb bis zu Beleidigungen und Belästigungen gegenüber jungen Schülerinnen. wXw erklärte, dass die beschuldigten Trainer bereits seit 2017 respektive 2018 nicht mehr für die Liga arbeiteten, auch zwei weitere Trainer wurden nach den Vorfällen entlassen.

Missbrauch im Wrestling ist ein Thema, das nicht immer an die Öffentlichkeit kommt. Oft trauen sich Opfer nicht, ihre Geschichten zu erzählen. Gründe hierfür sind Furcht vor den Tätern, Angst um die eigene Zukunft oder die Sorge, dass ihre Berichte nicht ernst genommen werden könnten. „Speaking Out“ ist eine Bewegung, die nicht von heute auf morgen verschwinden wird. Missbrauch und Belästigung im Wrestling kommen auch heute noch vor, viele Täter sind weiterhin auf freiem Fuß. Oft stehen die Aussagen der Beteiligten gegeneinander, was eine strafrechtliche Verfolgung ohne handfeste Beweise oder ein Geständnis fast unmöglich macht.

Zweite Chancen sind wichtig. Aber wer keine Einsicht zeigt, sich nicht klar entschuldigt, für den sollte das Wrestling-Geschäft alle Türen verschließen. Zum Schutz derer, die sich nicht wehren können. Zum Schutz der Schülerinnen und Schüler. Zum Schutz der Wrestlerinnen und Wrestler. Und auch zum Schutz der Fans.

Hilfe bei sexueller Belästigung

Du bist sexuelle belästigt worden und brauchst Hilfe? Oder du kennst jemanden, der Opfer eines sexuellen Übergriffes geworden ist und Unterstützung braucht? Hier findest Du einige bundesweite Hilfestellen:

Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen
Telefon: 08000 116 016
Website: www.hilfetelefon.de

Wildwasser – Verein gegen sexuellen Missbrauch
Telefon: 06142/965760
Mail: info@wildwasser.de
Website: www.wildwasser.de
Dort findest Du auch eine Übersicht über regionale Hilfestellen

Weißer Ring
Telefon: 116 016
Onlineberatung (Account benötigt)
Website: https://weisser-ring.de/

Oft neigen Betroffene dazu, das Geschehene zu relativieren (“War doch gar nicht so schlimm, er/sie wird das bestimmt nicht wieder machen”) oder geben sich selbst die Schuld („Ich habe mich bestimmt falsch verhalten“). Doch das ist nicht wahr. Was Du erlebt hast, ist nicht deine Schuld!

Wenn du Unterstützung brauchst, kannst du neben Freunden, Familienangehörigen oder zuständigen Ansprechpartnern auf der Arbeit oder in der Schule auch verschiedene Hilfsangebote kontaktieren. Zudem kannst du im Notfall auch jederzeit den Notruf des Rettungsdienstes oder der Polizei rufen.

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