Wie Corona das Wrestling-Business veränderte

Anfang 2020 – die WWE läutet mit dem traditionellen Royal Rumble die „Road to Wrestlmania“ ein. In einem starken Rumble Match der Männer dominiert der damalige WWE-Champion Brock Lesnar das Match, bis der „Scottish Psychopath“ Drew McIntyre den Ring betritt und Lesnar eliminiert. Die Zuschauerreaktionen sind riesig – McIntyre gewinnt anschließend den Royal Rumble und fordert Lesnar zu einem WWE-Championship-Match bei Wrestlemania 36 heraus.

Währenddessen verbreitet sich im asiatischen Raum ein Virus, das zahlreiche Menschenleben fordert. Es kommt zu Grundrechtseinschränkungen, die das Virus eindämmen sollen. Der Rest der Welt lebt sein Leben wie gewohnt weiter und ist sich der bevorstehenden Katstrophe noch nicht bewusst. Dann – Mitte März – wird das Coronavirus zu einem globalen Einschnitt. Eine Pandemie bricht aus, die Wirtschaft wird komplett heruntergefahren und immer mehr Länder gehen in den Lockdown. Großveranstaltungen vor Publikum werden abgesagt.

Auch das Wrestling wird von der Krise hart getroffen. Am 11. März 2020 veranstaltet die WWE mit NXT ihre letzte Veranstaltung vor Live-Publikum. Erstmalig richtet der Marktführer die Show im eigenen Performance Center aus. Am Freitag darauf hat die Pandemie die Welt bereits im Griff. SmackDown findet ebenfalls im Performance Center statt, dieses Mal nur vor leeren Rängen. Triple H hält eine Ansprache: „Diese Show wird anders. Dennoch werden wir weiterhin das tun, was wir am besten können. Lasst uns euch ein Lächeln ins Gesicht zaubern!“. Mit diesen Worten läutet der CEO der WWE eine neue Ära im Wrestling ein. Die Corona-Ära.

Die Pandemie stellte den Marktführer vor große Herausforderungen. Gerade jetzt, kurz vor Wrestlemania, dem größten Wrestling-Event des Jahres, legt eine Pandemie die gesamte Welt lahm. Vince McMahon hält derweil an seinen Wrestlemania-Plänen fest und hofft auf die behördliche Freigabe für sein Event. Die WWE bewirbt ihre größte Show des Jahres weiterhin im Raymond-James-Stadion in Tampa Bay. Doch die USA macht die Grenzen dicht. Ein Wrestlemania mit internationalen Fans, unmöglich. Langsam wird auch Vince McMahon klar, dass er seine Pläne umwerfen muss.

Auch die Konkurrenzliga AEW wird von der Pandemie hart getroffen. Nachdem AEW mit ihrer Großveranstaltung Revolution die Wrestling-Fans Ende Februar begeistern konnte, steht die noch junge Liga nun vor einem Scherbenhaufen. Bremst die Pandemie das Wachstum des Wrestling-Neulings aus?

Währenddessen bestätigt WWE ihre Pläne für Wrestlemania. Das Event wird ERSTMALIG an zwei Tagen stattfinden. Ein Konzept, dass man sonst nur von New Japan Pro Wrestling mit Wrestle Kingdom gewohnt ist. Durch den Aufbau in den vergangenen Wochen im leeren Performance Center hat die WWE erkannt, dass sieben Stunden Wrestling am Stück komplett ohne Zuschauerreaktionen, für den TV-Zuschauer ermüdend sind. Wrestling lebt von Emotionen – und genau das wurde in den folgenden Monaten zur größten Herausforderung für das Wrestling Business.

Doch zurück zu Wrestlemania. Top-Star Roman Reigns, durch seine überstandene Leukämie Erkrankung Teil einer Risikogruppe, sagt sein Universal-Championship gegen WWE-Hall-Of-Famer Golberg ab und wird der WWE in den folgenden Monaten nicht zur Verfügung stehen. Zu groß ist das Risiko für ihn, sich anzustecken. Die WWE bewirbt das Match dennoch weiterhin und gibt mit Braun Strowman erst am Tag der Veranstaltung einen Ersatz bekannt. Es folgen zwei Tage Wrestling in einer leeren Halle. Objektiv betrachtet fühlte sich die Veranstaltung nicht wie eine richtige Wrestlemania an. Doch aufgrund der Umstände ließ sich diese Veranstaltung auch schlecht mit Events aus den vergangenen Jahren vergleichen.

Die Entwicklung

Während in diversen Sportarten die Spielbetriebe eingestellt wurden, machten WWE und AEW weiter. Sie versuchten ihr Produkt den Umständen entsprechend anzupassen. Hier durchlebten beide Brands eine Entwicklung in ihrem Vorgehen. WWE blieb zuerst bei ihrem „Wrestlemania Konzept“ und veranstaltete weiterhin im stillen und leeren Performance Center. Das Produkt wirkte ermüdend. Wrestling für einen unbestimmten Zeitraum ohne Zuschauer? Unvorstellbar!

All Elite Wrestling machte dagegen den Daily’s Place in Jacksonville, Florida zu ihrer neuen Heimstätte. Dabei blieben sie im weiteren Verlauf des Jahres 2020 weitestgehend einem einzigen Konzept treu. Sie positionierten ihre eigenen Performer als Zuschauer an der Ringbande und sorgten somit wenigstens für etwas Stimmung im Amphietheater. Währenddessen geriet WWE immer mehr in Kritik, sie würden die Hygienemaßnahmen innerhalb ihrer Katakomben nicht einhalten. Es kam vermehrt zu Infektionsausbrüchen innerhalb des Rosters. Schließlich passte WWE ihr Konzept an AEW an und positionierte NXT-Performer bei den Wochenshows RAW und SmackDown in den Zuschauerreihen. Erst ohne Maske – später nach weiteren kritischen Stimmen dann mit Maske. Das Wrestling genoss in dieser Zeit einen hohen Stellenwert in Amerika, welcher nicht zuletzt durch Gelder, die Vince McMahon für den Wahlkampf von Ex-Präsident Donald Trump zur Verfügung stellte, beeinflusst wurde.

Ende August 2020 war es für AEW dann endlich so weit. Sie erhielten die behördliche Genehmigung in Florida wieder Live-Publikum zu ihren Shows zuzulassen. Natürlich unter strengen Hygieneauflagen wie Maskenpflicht, festen Sitzplätzen und einer begrenzten Kapazität. Der Unterschied war dennoch direkt spürbar. Die Emotionen kamen langsam wieder zurück ins Wrestling Business.

Auch WWE entwickelte sich weiter – überarbeitete ihr Produktkonzept. Sie trennten sich von ihrem Performance Center und riefen den THUNDERDOME ins Leben. Ein Setup – angepasst an das normale Live-Setup der WWE – doch statt Live-Publikum mit einer Vielzahl an LED-Bildschirmen im Zuschauerbereich. Auch Pyro wurde wiedereingesetzt, ein Stück mehr Normalität in diesen schweren Zeiten. Fans aus aller Welt hatten nun die Möglichkeit, live und digital an den Wochenshows sowie den PPVs teilzunehmen. Eingespielte Audiospuren der Zuschauerreaktionen brachten wieder etwas mehr Leben in das Produkt des Marktführers, auch wenn es nicht sehr organisch wirkte. Bis heute behalten beide Ligen ihre Konzepte bei.

Chancen und Risiken der Pandemie

Die Corona Pandemie hat das Wrestling Business vor eine große Herausforderung gestellt. AEW und WWE mussten lernen mit der ungewöhnlichen Situation umzugehen und das Beste daraus zu machen. Doch was gibt es für Chancen und Risiken in der Corona Ära?

Im vergangenen Jahr rückte ein spezielles Konzept immer mehr in den Fokus. Sowohl der Marktführer als auch All Elite Wrestling griffen immer häufiger auf cineastisches Wrestling zurück, um den Verlust der Zuschauer bei den Shows zu kompensieren. WWE startete bereits bei Wrestlemania mit dem Boneyard Match zwischen AJ Styles und dem Undertaker und John Cena und  Bray Wyatt. Beide Matches gehörten im WWE-Universum überwiegend zu den Highlights der vergangenen Wrestlemania. Dadurch, dass Wrestling als eine Art Film produziert wurde, konnten dem Zuschauer ganz neue Bilder und Emotionen der einzelnen Charaktere und Storylines vermittelt werden. Auch spielte so ein Konzept gerade dem im fortgeschrittenen Alter befindenden Undertaker in die Karten. Durch die Möglichkeit einer Postproduktion konnte der Marktführer die durch das Alter bedingten wrestlerischen Defizite des Deadmen beheben und dem Charakter des Undertakers somit einen würdigen Abschied von der Wrestling Bühne verschaffen.

Auch AEW glänzte durch das Stadium Stampede Match und nicht zuletzt mit dem Street Fight zwischen Darby Allin und Sting die auf Ricky Starks und Brian Cage bei Revolution trafen. Wenn wieder etwas mehr Normalität zurückkehrt werden beide Ligen bestimmt erneut von diesem Stilmittel Gebrauch machen, da es sich in der Pandemie als Chance herausgestellt hat. Des Weiteren hat die Fehde von Randy Orton, Alexa Bliss und dem Fiend gezeigt, dass das Produkt ohne Zuschauer deutlich abstrakter sein kann.

Die Risiken der Pandemie machen sich vermehrt bei der Produktausrichtung des Marktführers bemerkbar. Durch den Thunderdome hat Vince McMahon deutlich mehr Einfluss auf sein Produkt genommen. Über die eingespielten Zuschauerreaktionen hat er mehr Macht und kann somit bestimmen, wie ein Charakter bei den Fans ankommt und ob dieser bejubelt oder ausgebuht werden soll. Spontane Heel- oder Face Turns, die durch die Reaktionen der Zuschauer im Stadion beeinflusst werden, gibt es in der Corona Ära nicht. Beim Royal Rumble hatte die WWE die Möglichkeit, den PPV nach knapp einem Jahr wieder vor Fans zu veranstalten. Vince McMahon entschied sich jedoch dagegen – zu groß sei der logistische Aufwand, den Thunderdome abzubauen. Gefällt dem Chairman etwa die gewonnene Macht über sein Produkt?

Gerade NXT hat durch die Folgen der Corona Pandemie großen Schaden erlitten. Das Produkt lebte von einer anderen Zielgruppe an Wrestling Fans und war für viele Teile des WWE Universums das qualitativ hochwertigste Produkt des Marktführers. Bis dato ist es dennoch das einzige Produkt der WWE, welches eine begrenzte Anzahl an Zuschauern unter strengen Hygienevorgaben im Performance Center begrüßen darf.

Status quo und ein Ausblick

Nun – ein Jahr später. Die Corona Pandemie hat die Welt weiterhin im Griff und wird das Wrestling Business mindestens für das Jahr 2021 noch begleiten. Doch es gibt Hoffnung:

WWE kündigte an, dass Wrestlemania zwar erneut Zwei-Tägig, aber nach über einem Jahr der erste PPV vor großem Publikum sein wird. Veranstaltet wird das größte Wrestling Event des Jahres, wie im letzten Jahr eigentlich geplant, im Raymond-James-Stadion in Tampa Bay Florida. Dabei orientiert sich WWE am Superbowl, welcher ebenfalls mit einer Stadionauslastung von etwa 20-25% im Februar 2021 in diesem Stadion stattfand. Das sind immerhin knapp 20.000 Zuschauer!

In den USA kehrt die Normalität langsam, aber sicher zurück. Bereits 16 Staaten haben ihre Corona-Maßnahmen vollständig eingestellt. Die Impfkampagne läuft auf Hochtouren. Fast jeder vierte Erwachsene hat eine erste Corona-Impfung erhalten. Über 100 Millionen Impfdosen wurden schon verabreicht. Präsident Biden plant schon ab dem 1.5. – schneller als erwartet – ein Impfangebot für jeden amerikanischen Bürger verfügbar zu machen. Nachdem die USA im vergangenen Jahr durch ihre hohen Fallzahlen fast wie kein anderes Land von der Corona Pandemie betroffen war, ist man den europäischen Ländern nun einen großen Schritt voraus.

Zumindest in Amerika ist ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Eine Rückkehr zu Live-Shows vor großem Publikum zum Ende des Sommers scheint nicht unwahrscheinlich. Doch zu aller erst steht jetzt Wrestlemania an. Es ist ein kleiner Schritt zurück zur Normalität. Hoffnung! Nicht nur für das amerikanische Wrestling, sondern für die gesamte USA.

Autor & Schnitt: Peer Oberhoff (https://twitter.com/Peter_ohne_T)

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