VINCE MCMAHON DOKU (1/4) | So tickt der WWE Boss wirklich

Vince McMahon ist der Godfather of Sports Entertainment. Ohne Vincent Kennedy McMahon sähe die Wrestling-Welt heute völlig anders aus, wenn es sie in der breiten Masse überhaupt geben würde. Vince McMahon hat das Wrestling mainstream-tauglich gemacht, eine Jahrmarkt-Attraktion in ein börsennotiertes Unternehmen verwandelt und sich dabei selbst zum Milliardär hochgearbeitet. Jeder Wrestling-Fan kennt Vince McMahon, jeder hat diese oder jene Story von ihm gehört, aber was wissen wir am Ende wirklich über die vermutlich wichtigste Wrestling-Persona aller Zeiten? Was wissen wir über den kompromisslosen Geschäftsmann, der immer wieder Erfolg über Moral gestellt hat, und was über den vielschichtigen Menschen hinter dem Imperium? Wie denkt Vince McMahon? Steht er dem modernen Wrestling im Weg, wie es ihm viele vorwerfen, oder sorgt sein autokratischer Führungsstil für den Fortbestand der Branche? Uns hat der Charakter Vince McMahon so sehr fasziniert, dass wir ihm an diesem und den kommenden drei Adventssonntagen eine eigene Doku-Serie gewidmet haben. In vier Akten durchleuchten wir den Godfather of Sports Entertainment und stellen uns zum Schluss die Frage, was Vince McMahon für uns ganz persönlich bedeutet.

Lupenrein?

Es ist das Jahr 1994. Irgendwo zwischen Hulkamania und Attitude Era. Nicht zum ersten Mal steht der Fortbestand des Wrestlings, wie wir es heute kennen auf dem Spiel. Doch diesmal geht es um Vince McMahon ganz persönlich. Es geht darum, ob der unantastbare Alleinherrscher der World Wrestling Federation seine Wrestler in großem Stil mit anabolen Steroiden versorgt hat. „Larger than Life“ ist das große Mantra der WWF. Aus Vorzeige-Athleten etwas noch Vorzeigbareres machen. Der dubiose Urologe George Zahorian war längst zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen der Verbreitung von illegalen Steroiden an WWF-Wrestler verurteilt worden, da spielte Hulk Hogan der Öffentlichkeit noch heile Welt vor.

[Interviewton. Hulk Hogan: „I do not use steroids.“]

Hogan selber, der im Zuge des Zahorian-Prozesses stets nur als John H. Doe aktenkundig war und nicht aussagen musste, wusch sich von jeder Schuld frei, als es zwei Jahre später schließlich dem Boss selber an den Kragen zu gehen drohte. Vince McMahon ist niemand, der Dinge auf sich zukommen lässt. Vince McMahon ist ein Macher. Natürlich hat er selbst Anabolika genommen und natürlich wusste er auch von der gängigen Praxis in seinem Imperium. Aber das musste man ihm erst einmal beweisen. Der schwerste Vorwurf lag darin, dass er selbst an der Verteilung der Candys, wie Pat Patterson sie nannte, beteiligt war und einzelne Wrestler unter Druck setzte, diese dann auch einzuwerfen. Und wenn dir ein Vince McMahon sagt, du wirfst dir Steroide rein, dann wirfst du dir Steroide rein. Wenig überraschend sagte im Prozess dann auch nur einer der Belastungszeugen gegen seinen Boss aus, während Hulk Hogan höchstselbst vor Gericht erschien, seinen jahrelangen Konsum zugestand, aber Vince aus dem Sumpf herausließ. Zwei Jahre lang wurde insgesamt ermittelt, am Ende war sich McMahon seiner offiziellen Unschuld so sicher, dass er einen Vergleich mit der Staatsanwaltschaft ablehnte und es auf ein Urteil ankommen ließ. Ihm drohten bis zu neun Jahre Knast und eine 1,5 Millionen Dollar Geldstrafe, vom Verlust seiner geliebten Titan Towers in Connecticut ganz zu schweigen. Was er am Ende bekam, war ein lupenreiner Freispruch.

Dass er die WWF hätte verlieren können, war das Eine. Doch das Gefängnis hätte ihn persönlich getroffen. Ihn und seine Familie. Vince McMahon ist ein Familienmensch, im Privaten frei von Querelen und Skandalen. Das passt so gar nicht zu dem Mann, der im Beruflichen aneckt und polarisiert, manche würden sagen über Leichen geht. Seine Frau Linda lernt er bereits mit 16 Jahren in der Kirche kennen, kaum einmal gibt es seit 1966 einen Ehekrach im Hause McMahon. So werden sich 1994 auch beide einig gewesen sein, dass Vince seine Nacken-OP genau so legt, dass er passend zum Steroid-Trial eine sympathiebringende Halskrause anlegen kann. Es ist die Show, auf die es ankommt, das weiß keiner besser als Vince McMahon. Immer dann, wenn deine Stärke nicht ausreicht, musst du dir andere Wege einfallen lassen.

„Es hat mich immer gestört, wenn Leute dachten, sie wären besser als ich. Ich habe eine Philosophie entwickelt, dass niemand besser ist als ich. Und ich gleichzeitig nicht besser bin als andere. “ – Vince McMahon

Der Mensch hinter der Maschine

Um zu erkennen, wie ein Mensch tickt, hilft meistens ein Blick auf die Kindheit und Vince McMahon hatte in der Tat keine leichte Anfangszeit, ließ dies aber nie als Entschuldigung für was auch immer durchgehen und hat entsprechend nie die fehlende Vergangenheit mit seinem Vater aufgearbeitet. Vince gehörte der unteren Mittelschicht an, nachdem sich sein Vater Vincent James McMahon von Mutter Vickie verabschiedet hatte, als Vinnie jr. noch ein Baby war. Er wuchs in einem einfachen Trailer Park auf, litt in der Schule unter seiner damaligen Leseschwäche und stand als Teenager irgendwann vor der Entscheidung, ob er noch etwas aus sich machen will oder letztlich wie seine vielen Stiefväter endet.

Häusliche Gewalt, Geldprobleme, kein rechter Antrieb. Der junge Vince McMahon, der damals noch Vinnie Lupton heißt, klaut Autos, bringt sie später wieder zurück und sieht auch heute noch darin kein Vergehen. Er verkauft selbstgebrannten Schnaps, kommt irgendwie über die Runden. Dann tritt sein leiblicher Vater zurück in sein Leben und auf einmal verändert sich alles. Er sieht erstmals seinen älteren Bruder, entwickelt eine tiefe Bindung zu Vince Senior, die am Ende mehr eine innige Form von professionellem Respekt als echte Liebe sein wird. Erst auf dem Totenbett schafft es der alte Vince, dem jungen Vince zu sagen, dass er ihn liebt. Bis dahin war der erste entscheidende Schritt die Militärschule für Vince McMahon, die ohne Vince Senior nicht finanzierbar gewesen wäre. Hier lernt Vince das Rüstzeug zum Leben und wir erkennen erstmals den Mr. McMahon in ihm: Als sein Notenschnitt ganz knapp nicht ausreicht, geht er selbstbewusst zu mehreren Lehrern und lässt diesen gar keine andere Wahl, als das B noch einmal in ein A zu überdenken und schafft so den Cut. Da ist sie wieder, die große Show, obwohl du eigentlich keine Macht hast. Je mehr Macht Vince mit der Zeit bekam, desto weniger Show war nötig.

Rise

Die Militärschule bewirkte wahre Wunder und auf einmal stellte sich die Frage, wohin die Reise mit Vince gehen soll. Sein Großvater war Wrestling-Promoter, sein Vater ist Wrestling-Promoter, da bleibt so viel Spielraum nicht über. Zuerst dachte Vince an eine Karriere als aktiver Wrestler, doch das gefiel seinem Vater so gar nicht. Anwalt wäre besser, dabei hasste Vince schon damals Anwälte, so wie er sie heute hasst. Weil er sein Schicksal in fremde Hände legen muss und nicht für sich selbst kämpfen darf. Weil sie Halsabschneider sind. Vince beginnt mit kleineren Jobs, verkauft Rechenmaschinen, entwickelt sein unternehmerisches Gespür, wobei er zu dieser Zeit immer wieder weich im Vermögen des Vaters landet. Der Weg in Richtung Wrestling ist aber im Grunde nicht mehr ausweichbar.

Mit 14 Jahren wurde Vince McMahon zum Fanboy. Sein großes Idol: Doctor Jerry Graham, ein eitler, großspuriger Villain, der über allem zu stehen schien und als Persona non grata bei den Fans galt. Hier wuchs zusammen, was ganz offensichtlich zusammengehört. Im Sommer 1959 zog Vince mit dem Doctor durch Washington, lernte von ihm das Zigarrerauchen, was ihm zwar kein bisschen gefiel, aber zu männlich und machtvoll war, um darauf zu verzichten. Vince zeigte, dass er sich die teuren Zigarren leisten konnte, färbte sich sogar die Haare blond wie sein Idol und zog dessen Kleidung an. Vince McMahon war ein Wrestling-Fan.

Charakter-Rätsel

Und so nahm die Geschichte dann ihren Lauf. Vince wurde mächtiger und mächtiger, übernahm mehr und mehr Territorien und erschuf die uns bekannte WWF. Was als Kind noch passenderweise mit einer Wohnung in Manly, North-Carolina begann, entwickelte sich zu einem straff geführten Imperium mit einem echten Mann an der Spitze. Ein Mann, dessen Inneres uns Rätsel aufgibt. Da ist zum einen der unerbitterlich arbeitende und wenig Kompromisse eingehende Mr. McMahon, zum anderen der innerlich jung gebliebene Vince, der laut CM Punk über seine eigenen Fürze lacht und mit kindischer Schadenfreude durch die Welt geht.

„Einige würden sagen, dass ich im Kopf noch ein Teenager bin. Es ist, als würde ich mich weigern, erwachsen zu werden. Ich möchte nicht erwachsen werden. Jetzt bin ich alt genug, um zu sagen, dass ich nicht erwachsen werde. Also, was machst du dagegen?“  – Vince McMahon

Ganz bestimmt habt ihr schon so viele Storys über Vince McMahon gehört und sie alle sind wahr. Oder zumindest spielt es keine Rolle, ob sie wahr sind, denn sie könnten es definitiv sein. Stephanie McMahon rät jedem davon ab, in seiner Gegenwart zu niesen, weil Vince es hasst, dass jemand die Kontrolle über seinen Körper verliert. Laut Paul Heyman lässt sich Vince keinen Bart stehen, weil er nicht will, dass der Bart über ihn gewinnt. Vince wirft im Flieger mit Süßigkeiten nach Wrestlern und versteckt sich dann schelmisch hinter dem Sitz. Vince hat kaum Hobbys und versteht nicht, wie seine Writer in der Pause Comedy-Shows gucken können statt alte witzige Wrestling-Segmente.  Auf die Frage, was er selbst am witzigsten findet, nannte er: jemanden in den Pool zu werfen. Er liebt es, danach in die Gesichter zu sehen, was offenbar ein Gefühl der Überlegenheit in ihm auslöst.

Das führt dann aber auch direkt zu den weniger schönen Dingen im Kopf von Vince McMahon. Er will am Ende immer gewinnen und tut sich schwer mit anders gelagerten Meinungen. Kaum einmal geht der Vorschlag eines Wrestlers bei ihm durch, er scheint dann sogar eher vom Gegenteil überzeugt zu sein. Was Vince McMahon sagt und tut, ist immer das, was in diesem Augenblick am besten für Vince McMahon selber ist, ganz egal, was gestern war und morgen sein wird. Er verspricht gerne viel, liefert nicht immer ab, verliert manchmal von jetzt auf gleich das Interesse an etwas und ändert seine Ansichten ohne vorherige Anzeichen. Generell scheint er sich nicht lange auf eine einzelne Sache fokussieren zu können und vieles bleibt einfach unvollständig. Am Ende sind dann immer die anderen schuld und im Zweifel werden Leute lieber gefeuert, als dass man mit ihnen die Probleme löst. Wenn man das alles zusammennimmt und einfach nur den entsprechenden Wikipedia-Artikel aufruft, muss man kein Psychiater sein, um eine vorsichtige Diagnose für Vince McMahon zu erstellen:

„Die narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS) zeichnet sich durch einen Mangel an Empathie, Überschätzung der eigenen Fähigkeiten und gesteigertes Verlangen nach Anerkennung aus. Typisch ist, dass die betroffenen Personen übermäßig stark damit beschäftigt sind, anderen zu imponieren und um Bewunderung für sich zu werben, aber selbst nur wenig zwischenmenschliches Einfühlungsvermögen besitzen und nur wenig emotionale Wärme an andere Menschen zurückgeben.“

Was ist die ganze Wahrheit?

Dass dies aber nur die halbe Wahrheit sein kann, zeigt dann wieder der Blick auf Vinces Privatleben, in dem er ohne Zweifel ein liebender Vater und fürsorglicher Beschützer sein kann. Trotzdem hat er vor vielen Jahren seiner Tochter Stephanie vorgeschlagen, eine Storyline zu entwerfen, in der er sich selbst am Ende als ihr Liebhaber entpuppen würde. Als sie dies entrüstet ablehnte, schwächte Vince die Inzest-Story dahingehend ab, dass ihr Bruder Shane der Lover sein sollte. Auch heute erleben wir viel zu oft, wie Vince McMahon nicht versteht, warum einige Sachen nicht bei den Fans funktionieren. Vielleicht kommt einfach sein alberner Humor nicht bei uns an, vielleicht fehlt es mittlerweile einfach an einem echten Bezug zur heutigen Welt. Was früher funktioniert hat, kann heute totaler Blödsinn sein. Oder hat Vince McMahon am Ende recht und die WWE bleibt nur gerade deshalb erfolgreich, weil sich an den Grundelementen nichts ändert. Weil sich an Vince McMahon nichts ändert. Das und noch einiges mehr überlegen wir uns in der nächsten Folge unserer Vince-McMahon-Doku-Serie.

Produktion: Marcel Weber, Jonathan Guthy

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