AEW vs. WWE: Hat All Elite Wrestling wirklich eine Chance?

 

„Wenn ein Unternehmen auf Dauer bestehen und fortschrittlich bleiben will, gibt es nichts Schlimmeres, als keine Wettbewerber zu haben.“ – Robert Bosch vor rund 100 Jahren

Die Wrestling-Landschaft steht vor der größten Veränderung seit vielen, seit sehr vielen Jahren. Und wir werden von Anfang an dabei sein. Wrestling ist WWE und WWE ist Wrestling. Keine andere Promotion kommt auch nur ansatzweise an die Popularität der WWE an. Im letzten Jahr machte die WWE einen Umsatz von 930 Millionen Dollar. In diesem Jahr wird durch den neuen TV-Deal mit FOX vermutlich die Milliarde geknackt. Die WWE ist der eindeutige Platzhirsch. Ein börsennotiertes Unternehmen mit 850 Mitarbeitern und einem über 200 Mann und Frau starken Roster für mittlerweile drei wöchentliche Hauptshows und mehr. Der Chef des Ganzen ist uns allen nur zu gut bekannt: Vincent Kennedy McMahon, die mit ziemlicher Sicherheit wichtigste Wrestlingfigur aller Zeiten. Wenn die WWE Wrestling ist, dann ist Vince McMahon die WWE. Und das wird immer mehr zum Problem.

Rückblick: Vince McMahon hat die WWE durch goldene Jahre geführt. Er machte Wrestling zu einem landesweiten Phänomen in den USA. Hulk Hogan und der Undertaker verdanken ihren Erfolg Vince McMahon. Vince McMahon verdankt seinen milliardenbringenden Erfolg der Attitude Era und damit ziemlich direkt auch der WCW. Die enorme Konkurrenz der späten 90er, die frische Promotion mit großen Namen und talentierten Rookies zwang Vince zu Risiken. Hinter der WCW steckte Ted Turner, ein weiterer Milliardär, der die nWo, Sting und die besten Cruiserweights der Welt auf dem eigenen Sender TNT präsentierte. Es folgten die besten fünf Jahre des Wrestlings. Über 80 Wochen lang schauten mehr Fans der WCW zu, was Vince McMahon zum Handeln zwang. DX wurde gegründet. Steve Austin und The Rock wurden zu Legenden. Die Attitude Era bleibt bis heute unerreicht. 2001 scheiterte die WCW an der eigenen Politik, konnte die horrenden Gehälter nicht mehr zahlen. Vince siegte im „Monday Night War“ und was folgte, war ein klar erkennbarer Niveau-Rückgang. McMahon musste keine Risiken mehr eingehen, besann sich auf die immer gleichen Storylines und beließ die WWE in ruhigen Gewässern. Als klarer Marktführer ist die WWE heute so reich und erfolgreich wie nie, das Produkt aber immer wieder belanglos und uninspiriert.

Und genau jetzt kommt dieser Mann ins Spiel: Tony Khan, ein Mann mit Wrestling-Visionen. Tony Khan will nach eigener Aussage dabei helfen, „eine wahrhaft goldene Ära des Wrestlings einzuläuten, diese Zeit zur besten Zeit zu machen, um ein Wrestling-Fan zu sein“. Sein Vater Shahid Khan ist Milliardär, mehr als doppelt so reich wie Vince McMahon. Er ist der stille Investor im Hintergrund. Jetzt will Sohn Tony die Wrestling-Welt verändern und ist nach frühen Informationen bereit, hierfür bis zu 100 Millionen Dollar auf den Tisch zu legen. Khan kommt einem vor wie ein Kind, das gerade zum ersten Mal im Disneyland ist. Er war schon immer großer Wrestlingfan und kann jetzt seine Träume aktiv gestalten. Sein mächtiges Mittel: die AEW.

All Elite Wrestling startete im Januar und gilt laut Journalisten-Ikone Dave Meltzer schon nach einer Show als die „heißeste Nicht-WWE-Kraft, die das US-Wrestling-Business seit mehr als 20 Jahren gesehen hat“. All Out hieß diese Show und zeigte uns, was wir von AEW erwarten können: Große Namen, talentierte Rookies und das verdammt gute Gefühl, dass hier frisch und unverbraucht eine alte Liebe neu entfacht wird. AEW verspricht uns die Leidenschaft, die im gleichgeschalteten WWE-Universum abhanden gekommen ist. Wenn es in den letzten zehn Jahren vor allem darum gegangen ist, stets die aktuelle T-Shirt-Farbe von John Cena zu tragen, spüren wir jetzt so etwas wie Aufbruchstimmung. Direkt dafür verantwortlich sind die vier Co-Captains bei AEW, namentlich Cody Rhodes, die Young Bucks und Kenny Omega. Zunächst war es Matt Jackson von den Bucks, der mit seiner Frau und Tony Khan über seine Visionen sprach. Wrestling ohne Zwänge. Für die Fans. Frauen bekommen die gleichen Gehälter wie Männer, jeder kriegt seine Krankenversicherung. Die AEW ist so ein bisschen die heile Wrestling-Welt, während bei der WWE Dikator Vince regiert. Aber muss Vince McMahon die neue Konkurrenz fürchten?

Viel wurde darüber geschrieben, dass jetzt der „Wednesday Night War“ losgeht, wenn AEW am 2. Oktober auf TNT mit seiner wöchentlichen Show startet. Die Parallelen zur WCW sind offensichtlich. Beide Seiten wollen aber von einer echten Konkurrenz nichts wissen. Der Kommentar von WWEs Roman Reigns klingt dabei fast schon arrogant: „Konkurrenz? Nein, es gibt keine Konkurrenz. Wir, WWE, wissen genau, was wir tun. Wir haben die besten Talente der Welt. Das ist kein Vergleich, und das sage ich aus voller Überzeugung, von oben bis unten: Wir sind komplett Weltklasse.“ Für die Gegenseite gibt sich Jim Ross unterwürfig: „Es gibt keine Vendetta. Wie kann es denn bitteschön auch nur eine Rivalität sein? Wenn ihr euch die WWE anschaut und wieviel Geld die machen […], dann verbringt ihr ganz schön viel Zeit mit denen und keine mit uns.“ Beides sind natürlich Sticheleien, die umso mehr zeigen, dass die Schlacht längst eröffnet ist. Die WWE verlängert seit Monaten auslaufende Verträge um viele Jahre, AEW sendet regional Werbung für das eigene Produkt während WWE-Übertragungen. All Elite Wrestling hat zum Kampf geblasen und die WWE wird nicht tatenlos zuschauen.

Aber was soll das überhaupt für ein Kampf sein? Die WWE ist praktisch unverwundbar. Hier muss niemand fürchten, dass dem Investor die Lust vergeht. Hier kann jederzeit mit einem Wrestlemania-Main-Event gelockt werden. Werden die Storylines wieder überragend, bleibt AEW im Schatten des Riesen. Mit Fyter Fest und Fight for the Fallen lieferte AEW schon nicht mehr die Paradeleistung von All Out ab. Der Megahype ist aber auch von der WWE nicht wegzudiskutieren. Nur wenn ihr ernsthaft glaubt, dass die Zuschauer jetzt in Scharen von der WWE rüberrennen, dann fragt euch, wie lange ihr selber der WWE trotz allem treu geblieben seid.

In diesem Kampf geht es am Ende nicht um entweder oder. Anders als früher können wir beides schauen. Laut Darwin geht es nicht um das Recht des Stärkeren, sondern es gewinnt der, der sich die beste Nische gesucht hat. Und hier unterscheiden sich WWE und AEW deutlich. Auch wenn der mittlere Wrestlingfan derzeit über 50 Jahre alt ist, sind je nach Quelle bis zu 20 % der WWE-Zuschauer minderjährig. AEW spricht hauptsächlich die 18- bis 35-Jährigen an, die Spotfight verfolgen und für die es cool ist, Shirts ihrer Indy-Wrestler zu tragen. Und dann wäre da noch die Sache mit dem Sports Entertainment. Schon zu Ted Turner sagte Vince McMahon damals, dass sich die beiden nie über den Weg laufen werden, weil Turner sportliches Pro Wrestling anbietet, Vince aber wrestlerisches Sports Entertainment. An diesem Punkt stehen wir jetzt erneut.

Nein, es ist kein wirklicher Kampf WWE vs. AEW. Es ist eine neue Alternative zum alten Bewährten. Wir haben jetzt eine Wahl und schalten ab, wenn uns etwas nicht gefällt. Wir sind die Fans. Wir zwingen beide Seiten zu Höchstleistungen. Wir hoffen auf eine neue, eine geile Wrestling-Ära. Die Konkurrenz ist endlich wieder da und davon profitiert am Ende jeder Wrestlingbegeisterte. Davon profitiert auch die WWE. Lasst uns beginnen!

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